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Von einer Mutter |
Hallo, ich bin 32 Jahre, komme aus Freiburg und berichte von meinem ersten Kind. Ich bin Sozialarbeiterin.
Meine Tochter kam im Juni 2022 nach einer völlig unkomplizierten Schwangerschaft mit nur 2340 g zur Welt. Per Kaiserschnitt, weil die Geburt 8 Tage nach ET nach 20h Wehen nicht voranging und die Herztöne immer wieder schwach gewesen waren. Es stellte sich heraus, dass ich eine schwere Plazentainsuffizienz hatte, die unbemerkt geblieben war.
Nun hieß es stillen, um das Baby möglichst gut zu versorgen. Für mich ist Stillen am naheliegensten. Es ist gut für die Bindung, praktisch und die beste Nahrung.
Auf das Stillen habe ich mich nicht weiter vorbereitet. Ich hatte eine Nachsorgehebamme und hab einfach drauf los probiert. Das ging zunächst problemlos. Das erste Anlegen klappte ohne Probleme.
Ich stillte hauptsächlich und fütterte die ersten 2-3 Tage mit dem Feeder 5-7 ml Pre zu, weil es mir nach dem Kaiserschnitt und wegen dem geringen Geburtsgewicht angeraten wurde. Ihr Gewicht sank zunächst auf 2190 g. Bei der Entlassung am 4. Lebenstag war ich am Vollstillen, da wog sie 2220 g.
Leider saugte meine kleine Tochter schon bald immer schwächer und wachte kaum noch zum Stillen auf. Es war sehr heiß, sie nuckelte nur wenige Minuten an der Brust und war schlaff. Ich weiß das Gewicht nicht mehr genau. Es war leicht gestiegen auf 2250 g, aber die Hebamme war unzufrieden. Als dann am 8. Lebenstag noch Pipi in der Windel ausblieb, wurden wir von der Hebamme zurück in die Klinik geschickt.
Dort hieß es schnell “Trinkschwäche”. Zu Fläschchen und Pre-Nahrung schien es keine Alternative zu geben. Nur ratlose Gesichter der Pflege. Ich bestand auf eine Milchpumpe, um wenigstens den Milchfluss zu erhalten und Muttermilch zu zu füttern.
Eine Woche übten wir unter wachsamen Augen von Kinderärzten und Krankenpflege akribisch zu füttern. Muttermilch, soviel ich hatte, und dann Pre-Nahrung. 60 ml musste mein Neugeborenes alle 3h schaffen! Völlig übertrieben bei dem geringen Geburtsgewicht. Wenn sie es nicht schaffte, wurde über die Magensonde nachgeschoben.
Mein Kind erbrach, verweigerte, schrie. Nahm ab, wurde immer schwächer. Immer wieder erklärte ich, dass das Stillen anfangs gut geklappt hatte. Ob es an der Milch liegen könnte? Nein, hieß es dann.
Das Gewicht ging einen Tag hoch, den nächsten runter, wie eine Achterbahnfahrt. Je nachdem was sondiert, erbrochen, angenommen oder verweigert wurde. Auf 2340 g waren wir jedoch nach ca. 2 Wochen wieder.
Ich pumpte und pumpte alle 3h. Die Trinkmenge wurde von zunächst 40 ml auf 60 ml pro Mahlzeit 8x am Tag erhöht. Durch regelmäßiges Pumpen war ich bald bei 200 ml am Tag, dann 400-500 ml. Ich konnte sie also weitestgehend mit Muttermilch versorgen. Hatte ich nicht genug abgepumpt, z.B. weil ich nachts einfach nicht mehr konnte, wurde mit Pre-Nahrung aufgefüllt.
Wir wurden entlassen und sollten das strenge Trinkregime weiter umsetzen. Die Hebamme half mir mit anlegen, brachte mir das Brusternährungsset und wir versuchten alles, um der Kleinen die Brust attraktiv zu machen.
Dann stagnierte das Gewicht bei 2350 g für etwa 2-3 Wochen. Mal ein paar Gramm mehr, dann weniger. Immer auf und ab. Nichts half. Nach 10 Tagen ohne Gewichtszunahme wieder Klinik.
Ich bestand nun auf eine ausführliche Diagnostik. Wir wechselten zu hochkalorischer Frühchennahrung und reicherten meine weiter abgepumpte Milch mit Supplement an. Weiter ein verzweifeltes verweigerndes Kind. Weder Brust noch Fläschchen wurde richtig akzeptiert. Nach 5min stillen, war sie immer erschöpft.
Nach 10 zermürbenden Tagen wurden wir in der 6. Lebenswoche in die Universitätskinderklinik verlegt. Der Oberarzt war zu mir gekommen und hatte erklärt, irgendwas stimmt mit dem Darm nicht und irgendwie deutet manches auf Mukoviszidose hin, aber alle Tests seien negativ. Er habe keine Diagnose für mich außer “Gedeihstörung unbekannter Genese”.
Unser Glück waren ein Spezialist für Fettstoffwechselerkrankungen und ein Genetiker, die schließlich nach 8 Lebenswochen und ‘zig Diätversuchen, eine Abetalipoproteinämie diagnostizierten.
Dies ist eine Fettresorptionsstörung. Fett kann nicht im Blut transportiert werden. Der Darm verfettet, alle Nährstoffe gehen verloren.
Eine Abetalipoproteinämie (ABL, Bassen-Kornzweig-Syndrom) ist eine sehr seltene angeborene Fettstoffwechselstörung, sie ist genetisch bedingt und wird autosomal-rezessiv vererbt. Ihre genaue Häufigkeit ist unbekannt und wird auf <1 : 1.000.000 geschätzt. Bisher wird von weltweit 100 Betroffenen berichtet.
~ R. Gresens
In unserem extrem seltenen Fall ist das Fett in der Muttermilch tatsächlich schädlich für unser Kind.
Ich war total geschockt. Ich hatte meiner Kleinen so viele fettige Muttermilch und Pre-Nahrung gefüttert. Wir stellten um auf fettfreie Spezialnahrung. Mit der Ernährungsberatung der Uniklinik konnte ich eine Diät ausloten, die einige Milliliter Muttermilch zulässt.
Mein vieles Pumpen während der ganzen Zeit war also nicht vergebens. Etwa 100-300 ml überschüssige Muttermilch am Tag spendete ich dann noch 5-6 Wochen lang für Frühchen. Jetzt lohnt es nicht mehr.
Meine Tochter entwickelte nun schnell Appetit. Wir konnten bald auf 90 ml pro Mahlzeit erhöhen. Nachts auf 80 ml. Inzwischen trinkt sie bis zu 150ml pro Mahlzeit. Wir füttern jetzt wieder stärker nach Bedarf.
Das Kind nahm zunächst sprunghaft zu. Dann pendelte sich die Gewichtszunahme auf ein normales Maß ein. Sie ist weiterhin schlank und zart, wiegt jetzt mit 5 Monaten und nach 3 Monaten Diät 5760 g.
Noch heute, knapp 6 Monate später, pumpe ich täglich Muttermilch ab, um den Milchfluss zu erhalten und meiner Kleinen die wertvollen Antikörper und andere Inhaltsstoffe der Muttermilch zukommen zu lassen.
Ich habe meine Tochter von der Geburt an jeden Tag angelegt. Die ersten Lebenstage sehr häufig. In der Klinik dann alle 3h vor jeder Mahlzeit. Das war frustrierend. Sie war damals einfach schon zu schwach zum Saugen. Seit der Diät stille ich sie etwa 3-4 mal am Tag für ca. 5-15 Minuten. Nach der Gewichtszunahme trinkt sie auch wieder normal stark an der Brust.
Zunächst war das Stillen zusätzlich zur Diät toll. Meine Kleine konnte wieder richtig saugen und liebte es.
Nach ein paar Wochen fing sie jedoch an, sich ständig an- und abzudocken. Erst alle Minute, dann immer häufiger, bis sie unruhig wurde und weinte. Das war sehr irritierend für mich.
Die Hebamme half mir und gemeinsam entwickelten wir Stillpositionen und Stillsituationen, die etwas entspannter sind. Das An- und Abdocken ist nie weggegangen.
Ich lasse meine Tochter machen. Rege mich nicht auf und versuche sie ohne Stilldruck zu beruhigen. Wenn es doch in Weinen endet, beende ich die Stillsituation und beruhige mein Kind.
Wir haben einen Modus gefunden. Sie bekommt neben 900 ml Spezialnahrung, ca. 150 ml Muttermilch am Tag. Das kontrolliere ich mit sporadischen Stillproben und am Stuhlgang.
Seit der Diät pumpte ich noch 2mal täglich, seit ca. 6 Wochen nur noch abends einmal für 15-20 Min. Ich halte so den Milchfluss am Laufen, denn es gibt Tage, an welchen ich nicht stillen kann. Dies ist der Fall, wenn das Kind zuviel gesaugt hat und dann Fettstühle bekommt. Dann muss ich gegensteuern.
Würde ich die Fettstühle nicht minimieren, würden beispielsweise die fettlöslichen Vitamine auch ausgeschieden. Die füttern wir zu jeder Mahlzeit zu. Sie kommen aus einem Speziallabor und werden für meine Tochter individuell hergestellt.
Wir hatten viele schwierige Stillsituationen, denn ich kann meine Tochter niemals mit Hunger stillen. Sie merkt inzwischen, wenn ihr die Muttermilch zuviel wird und dockt dann an und ab. Sie liebt das Nuckeln, aber allzu lange kann ich es ihr nicht erlauben.
Trotz alldem bereue ich nichts. Ich freue mich über jede Minute, die sie an meiner Brust nuckelt. Was das Stillen angeht, bin ich sehr stolz nicht aufgegeben zu haben. Trotz Monaten des Pumpens. Heute sind wir alle der Meinung, dass das Kind trotz Fettresorptionsstörung vom Stillen und der Muttermilch profitiert. Der riesige Aufwand hat sich für mich gelohnt.
Mein Tipp für andere Mütter, die in einer ähnlichen Situation sind:
Puh. Das ist so ein spezieller Fall. Aber mit krankem Kind nicht den Mut verlieren. Gute, vertrauenswürdige Kinderärzte suchen und die eigene Intuition nicht verlieren. Ich merkte von Anfang an, dass es nicht um Trinkschwäche ging und wurde nicht ernst genommen. Und Krankenhausprotokolle muss man einfach ertragen. Man darf aber auch mal Stopp sagen.
Ich möchte an dieser Stelle aber auch Frauen ermutigen, die das Stillen aufgegeben haben, weil der Aufwand nicht machbar war. An diesem Punkt war auch ich und es ist keine Schande zum Pulver zu greifen, wenn das Stillen einfach nicht klappen will. Stillen muss eben auch für die Mama machbar sein.
Soviel zu unserer ungewöhnlichen Geschichte. Ich habe entschieden noch bis zum Ende des 6. Lebensmonat zu pumpen. Dann überlasse ich es meiner Tochter und meinem Körper, wie lange es noch klappt.
Aber ich bin stolz, soweit gekommen zu sein.
Liebe Grüße,
eine Mama
Originalbericht einer Mutter, November 2022
Foto: Alena Ozerova via Canva Pro
Liebe Mama,
ganz herzlichen Dank fürs Teilen dieser ungewöhnlichen Geschichte.
Toll, dass Du nicht aufgegeben hast und dass ihr einen Weg des Teilstillens gefunden habt, der ganz offenbar für euch gut funktioniert.
Ich wünsche Dir und Deiner Tochter alles Gute und noch eine schöne restliche Stillzeit.
Herzliche Grüße, Regine Gresens
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Bei Fettstoffwechselstörungen kann entrahmte Muttermilch gegeben werden, genauso wie es inzwischen in vielen Kliniken bei Chylothorax gemacht wird. Es gibt verschiedene Methoden, um fettarme oder fettfreie Muttermilch zu erhalten, die Beschreibungen sind im Internet gut zu finden!