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Von Anna |
Meine Geschichte fängt im dritten Schwangerschaftsmonat an. Bei einem regulären Frauenarztbesuch erfuhr ich (ziemlich uncharmant vom Arzt übermittelt), dass mein Kind mit der Wahrscheinlichkeit von 1:3 das Down-Syndrom hat.
Ein Schock, auf den ich hier nicht weiter eingehen möchte.
Was mir geholfen hat, nicht zu den statistischen 90!!! Prozent der Frauen zu gehören, die nach so einer Diagnose abtreiben, war die Aussage einer humangenetischen Beraterin: „Lassen Sie das Kind entscheiden, ob es bleiben möchte. Nicht Ihren Mann, nicht sich selbst, nicht den Arzt, nicht den Ultraschall, nicht den lieben Gott. Das Kind selbst.“
Dieser Satz nahm mir die Schwere der Entscheidung und ich überließ die Entscheidung dem Kind. Es wollte bleiben.
Am Tag 36+6 kam meine zweite Tochter spontan und unkompliziert auf die Welt. Wie wunderschön sie war! Sie saugte auch sofort an der Brust und schlief ein.
Die ersten zwei Tage auf der Station waren entspannt. Ich wunderte mich bloß, dass sie lang schlief und überhaupt nicht schrie (später wies sich diese Ruhe als ihre wesentliche Charaktereigenschaft auf) und machte mir ein wenig Sorgen, dass sie zu kurz und zu selten trank (zum Vergleich hatte ich meine erste Tochter, die das erste halbe Jahr an der Brust hing. Die Zweite war und ist jedoch ganz anders.)
Am 3. Lebenstag musste sich die Kleine aufgrund ihrer Diagnose einem gründlichen Ultraschall unterziehen.
Der große Schock ließ nicht lange auf sich warten: ein Herzfehler. Dieser sollte zwischen dem 4. Und 6. Lebensmonat operativ korrigiert werden. Von diesem Moment an, als hätte mein Kind die Diagnose mitbekommen und sich miterschrocken, trank es immer weniger und wurde immer schwächer.
Das Krankenhausprogramm lief wie gewohnt ab: Stillproben, schlechte Zahlen auf der Waage, das Fläschchen stand bereits in dem Wärmer. Da die Kleine nicht das ganze Fläschchen zu trinken vermochte, musste eine Magensonde gelegt werden, damit sie die „richtige“ Menge zu sich nimmt und an Gewicht zulegt.
Sie nahm trotzdem nicht zu, sondern sogar ab. Ein Arzt beschuldigte mich, ich wäre mit ihren Mahlzeiten schlampig und wenn es so weiter gehe, müsse meine Tochter an den Tropf. Ich konnte den Arzt nur müde anschauen, denn in dem 3-Stunden-Rhythmus mit Abpumpen, Stillen, Nachfüttern, Sondieren und Vojta-Therapie- Übungen machen, kam ich nicht mehr zum Schlaf.
Ich musste zum 4-Stunden-Rhythmus wechseln. In diesem Rhythmus pumpte ich ab und versorgte meine neu geborene Tochter zu fünf von den sechs Mahlzeiten mit Muttermilch. Die eine Mahlzeit fiel zu Gunsten ihrer älteren Schwester aus: für ein paar Stunden am Tag ging ich nach Hause, um mit der Großen zu spielen.
Die Gewichtszunahme ließ auf sich warten, trotz aller Maßnahmen.
Antonia war sehr agil, wenn sie wach war. Blöderweise wachte sie immer zwischen ihren festgelegten Mahlzeiten auf. Es kam mir sehr fragwürdig vor, das schlafende Kind zu sondieren, statt das Wache zum Stillen zu motivieren.
Aufgrund ihres Herzfehlers sei sie eh zu schwach zum Stillen, hieß es von den Ärzten.
Ich wollte es nicht glauben. Sie konnte 40 Minuten am Stück strampeln, war aber für das Saugen zu schwach? Ich war fest davon überzeugt, dass ich sie stillen kann. Aber wie?
(Im Nachhinein verstand ich, dass ihre temporäre Schwäche ihrer leichten Gelbsucht geschuldet war und nicht dem Herzfehler.)
Nach drei Wochen Krankenhausaufenthalt entschied ich mich nach Hause zu gehen und auf das Geburtsgewicht dort zu warten. Die Ärzte waren einverstanden.
Zu Hause pumpte ich weiter im 3-Stunden-Rhythmus Tag und Nacht, und war ganz schön fertig.
Die Nachsorgeschwester sagte mir einmal: „Ich weiß, Ihr Traum ist es voll zu stillen. Sie werden es aber nicht schaffen, Ihr Kind hat Trisomie 21 und einen Herzfehler.“
Ich weinte und googelte nach positiven Berichten. Diese gab es tatsächlich, in einem ging es darum, dass ein voll gestilltes Baby mit Down-Syndrom erst mit 2 Monaten das Geburtsgewicht erreichte.
Meine Kleine schien sich dieses Baby als Vorbild gewählt zu haben. Mit einem Monat war sie immer noch unter dem Geburtsgewicht. Meine Hebamme war ratlos und löste sich nach drei Hausbesuchen ohne Weiteres in Luft auf. Ich blieb hartnäckig.
Ich ernährte Antonia ausschließlich mit Muttermilch. Sie war lebendig und lustig und hatte bloß ein Problem: Nach 25 Gramm aus dem Fläschchen hörte sie auf zu trinken. Sie sei zu erschöpft vom Saugen, hieß es, aber ich sah ihr keine Erschöpfung an. Sie schien einfach nicht mehr zu brauchen.
Es war wie verhext. Das Baby war mit seiner Portion zufrieden und wehrte sich sogar gegen das Sondieren, als wäre der Magen bereits voll vom Getrunkenen. So viel zur Praxis.
Die Theorie predigte jedoch andere Zahlen: Das Baby sollte, laut Hebamme, 500 Gramm am Tag trinken, laut Nachsorgeschwester, 450 Gramm, und die Kinderärztin wäre auch mit 320 Gramm zufrieden.
Antonia wollte die 3-Kilo-Grenze nicht überschreiten und für die Herzoperation sollte sie (wieder laut der Nachsorgeschwester) mindestens 5 Kilo drauf haben. (Sie wog lediglich 4 Kilo, als sie mit 4 Monaten operiert wurde und kein Chirurg hat es ihr bemängelt).
Verzweifelt zählte ich jedes Milligramm in der Flasche. „Was soll ich tun? Bei jeder Mahlzeit gehen ein Paar Gramm daneben. Lass es 4 Gramm jeweils sein, bei 6 Mahlzeiten kommen dadurch 24 Gramm zusammen. Ist das schlimm?“
„Sie sollten diese verlorenen Gramme zählen und später nachsondieren..“ So die Nachsorgeschwester.
Es war die Hölle. Ich wollte nicht bestimmen, wie viel sie trinken soll.
Der Satz “Lassen Sie das Kind entscheiden, ob es bleiben will” klang in meinen Ohren nach. Vielleicht will sie nicht mehr bei uns bleiben? Vielleicht will sie wenig trinken und sterben? Soll ich mich von ihr langsam verabschieden? Solche Gedanken plagten mich Tag und Nacht.
Antonia schien jedoch nichts zu fehlen. Außer dem „richtigen“ Gewicht. Ich wusste nicht, ob ich meinen Augen oder der Nachsorgeschwester trauen sollte.
Schließlich entschied ich mich für meine Intuition. Als ich versehentlich in der Nacht die Magensonde raus gezogen habe, nahm ich das als Zeichen und hörte mit dem Sondieren auf.
Antonia war etwa 2 Monate alt und ich ging zu einer Stillberaterin. Wie der glückliche Zufall es wollte, waren meine Brüste voll und das Baby hungrig und es nahm die Brustwarze in den Mund und saugte daran, genau wie gleich nach der Geburt. Unaufgeregt und wissend um die Sache.
Nach ein Paar Schlucken hörte sie auf. „Gönnen Sie ihr diese Pause und versuchen Sie gleich noch ein Mal“. Dieser kleine Tipp veränderte meinen Blick auf die Situation. Meine Tochter war nicht erschöpft (wie die Nachsorgeschwester es behauptete), sondern legte einfach eine Pause ein. Von diesem Moment an habe ich gestillt.
Super!!! Glückwunsch! ~ R. Gresens
Nach drei Tagen hatte ich das Gefühl, meine Brüste sind leer und die Kleine hat Hunger und ich geriet wieder in Panik. Die Stillberaterin beruhigte mich, ich solle uns noch Zeit geben.
Das war`s an Tipps ihrerseits. Ich solle auf meine Intuition hören und meinem Mädchen vertrauen. Mehr nicht. Und doch war es unglaublich viel, den eigenen und fremden Ängsten zu trotzen.
Die Kinderärztin und die Stillberaterin hatten keine Angst und ihre positive Einstellung schwappte auf mich über. Die Kinderärztin sagte der Stillberaterin wortwörtlich: „Wir lassen erstmal das Gewicht aus den Augen und konzentrieren uns auf das Stillen, denn der Mutter ist es sehr wichtig.“
Auch rief sie bei den Nachsorgeschwestern an und sagte, sie übernehme die Verantwortung für das Baby, sie sollen sich erstmal raushalten, um die Mutter nicht durcheinander zu bringen. Welch eine Erleichterung nur eine Beraterin zu haben und zwar eine solche, die mit Dir auf derselben Seite steht!
Ja, das ist sooooo wichtig und leider so oft keine Selbstverständlichkeit. ~ R. Gresens
Einmal musste ich mit Antonia wieder ins Krankenhaus, denn wegen einer Erkältung trank sie schlecht und ich spürte, dass sie immer leichter wurde. Die Nachsorgeschwester meinte gleich: „Sondieren.“ Der Arzt im Krankenhaus sagte, er wäre kein Freund von Sondieren.
Ich entschied mich auch gegen das Abpumpen, denn aus der Flasche trank sie wegen der verstopften Nase genauso schlecht. So stillte ich sie einfach weiter. Ich wusste ja, dass sie schlecht zunimmt.
Der einzige Indikator für ihr Wohlbefinden war für mich ihr Trinkverhalten. Ich wusste, ob sie gut oder schlecht trinkt im Vergleich zu ihr selbst und zu keinen Tabellen.
Es gab mehrere Anekdoten mit den Schwestern, die nicht wussten, wie sie mit unserer ungewöhnlichen Situation umgehen sollten, der behandelnde Arzt ließ mich aber machen. Nach ein paar Tagen durften wir wieder nach Hause.
Auch nach der Herzoperation mussten wir die Gewichtszunahme nicht abwarten. Ich muss so souverän gewirkt haben, dass Ärzte uns ohne Weiteres auf eigene Verantwortung entlassen haben.
(Hier sei gesagt, mein Baby war das einzige gestillte Baby und gleichzeitig das einzige Baby ohne Schnupfen und Infekten und auch das einzige unter den besagten 5 Kilo. Die anderen Eltern haben dieselben Ratschläge bekommen, wie ich am Anfang, und diesen auch gefolgt.)
Nun ist Antonia 9 Monate alt und ich stille sie immer noch. Das ist schön. Und praktisch. Und günstig.
Sie isst bereits Beikost und ist eine gute Esserin. Sie wurde nie krank, auch wenn Husten und Schnupfen bei uns zu Hause zu Gast waren. Ihr Herz ist seit der OP intakt und sie braucht keine Medikamente mehr.
Das ist unsere Erfolgsgeschichte.
Ich möchte hier kurz zusammenfassen, was mir geholfen hat durchzuhalten:
- Ich pumpte ab und eine andere Person (Vater, Oma, Tante) fütterte das Baby mit der Flasche. Auf diesem Wege sparte ich mir etwas Zeit und Nerven.
- Antonia ist meine zweite Tochter. Bereits bei der ersten musste ich mir das Stillen erkämpfen und somit wusste ich, dass es möglich war.
- Positive Berichte anderer Frauen. Deswegen schreibe ich mein Bericht hier so ausführlich. Mir hätte es geholfen, hoffentlich hilft es auch jemand anderem.
- Meine ältere Tochter (2,5 Jahre zu dem Zeitpunkt) schickte ich mit meinem Mann zu seinem Auslandsdienst für zwei Monate mit. Wir hatten keinen Kindergartenplatz und ich traute mir nicht zu, den Bedürfnissen beider Kinder gerecht zu werden. Es war eine harte Entscheidung, aber die einzig Richtige unter den Umständen. So denke ich auch im Nachhinein.
- Meine feste Überzeugung, das Stillen ist das Beste für mich und meine Tochter.
P.S.:
Ich las auf Stillkinder.de einmal einen Text über Stillproben und das Wiegen an sich.
Ich kann sagen: die Waage bei dem Kardiologen war um etwa 100-200 Gramm anders als die Waage von der Nachsorgeschwester. Das habe ich mit der Zeit herausgefunden. Aber welch ein Stress war es zu sehen, dass Antonia laut Waage wieder abgenommen hat. Die Scheißwaage hat niemand in Frage gestellt, wohl aber meine Bemerkung: „Das kann nicht wahr sein.“
Auch bei einem Besuch bei dem Kardiologen zeigte die Waage 4450 und in der nächsten Sekunde 4950. Zwei behandelnde Schwestern waren in Gespräch miteinander, eine schaute kurz auf die Waage und schrieb 4950 auf.
Ich wusste, dass die Zahl unrealistisch war und bestand auf dem wiederholten Wiegen. Der Eintrag wurde dementsprechend in den Akten auf 4450 Gramm korrigiert. 500 Gramm waren fast ein Zehntel des Gewichtes meiner Kleinen, keine Kleinigkeit!
Zum Schluss möchte ich sagen:
Vertrauen Sie Ihren Augen und Ihren Gefühlen. Hören Sie auf Ihr Mutterherz. Es ist Ihr Kind. Sie kennen es am besten.
Ich weiß aus der Erfahrung, wie schwer es ist gegen die Strömung aller Ängste zu schwimmen, jedoch: Wer nicht riskiert, kann nicht gewinnen.
Beste Grüße,
Anna
Originalbericht einer Mutter, Mai 2019
Foto: Eleonora os
Liebe Anna,
ganz herzlichen Dank, dass Du Eure Geschichte hier geteilt hast. Ich bin sicher, sie wird Müttern in einer ähnlichen Situation viel Mut machen. Denn leider wird ihnen viel zu oft vom Stillen abgeraten oder zu wenig dabei unterstützt, obwohl gerade Babys mit einem Down-Syndrom und/oder einem Herzfehler noch viel mehr vom Stillen oder auch von der Ernährung mit abgepumpter Muttermilch profitieren.
~ R. Gresens
Hast Du selbst eine schwierige Situation mit Deinem Baby erfolgreich bewältigt?
Und möchtest Du Deine Erfahrungen gerne hier mit Anderen teilen?
Dann schreib mir doch Deinen eigenen Bericht!
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Meine allergrößte Hochachtung vor Euch und dass Ihr diesen Weg gemeistert habt.
Danke fürs Teilen und Mutmachen.
Alles alles Gute für Deine wunderbaren Kinder.
Ich hatte richtig Gänsehaut beim Lesen. Die beiden Tipps die mir am besten durch den Sturm der Anfangszeit beim Stillen geholfen haben waren auch
1. Die Mutter ist der Experte für ihr eigenes Kind und das Hören auf ihre Intuition sollte unterstützt werden.
2. Stillen nach Bedarf. Wenn das Kind satt ist, ist es satt. Hat die Mutter das Gefühl nochmal (die gleiche oder die andere) Brust anzubieten zu müssen, soll sie dem nachkommen.
Ihr habt das klasse gemacht! Danke fürs Teilen eurer Geschichte. Und das mit den unterschiedlichen Gewichten, selbst bei der gleichen Waage, macht einfach nur traurig.