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Ob eine Mutter erfolgreich (oder überhaupt) stillt, ist keine Frage der Willenskraft oder der mangelnden Stillfähigkeit, sondern eine komplexe, kulturell eingebettete Verhaltensweise, die durch viele miteinander zusammenhängende Faktoren beeinflusst wird.
Im zweiten Teil der Serie „Erfolgreich stillen – Was brauchen Mütter heute“ geht es um die Faktoren auf der Ebene des jeweiligen Mutter-Kind-Paares.
Zunächst aber noch ein kurzer Blick auf die verschiedenen Ebenen, die sich auf das Stillverhalten auswirken und die wir in dieser Serie betrachten werden.
Es gibt fünf unterschiedliche Ebenen, auf denen diese Faktoren angesiedelt sind:
- Das individuelle Mutter-Kind-Paar
Mütter und Babys sind unterschiedlich, deshalb kann es nicht nur EINEN richtigen Weg geben. Jede Mutter geht anders mit der Situation um und muss daher ihren eigenen Weg mit ihrem eigenen Kind finden und gehen. - Die Familie
Damit ist nicht nur der engste Familienkreis gemeint, sondern jeder, mit dem die Mutter eine enge Beziehung hat, der sie unterstützt und beeinflusst, also auch entfernte Verwandte und enge Freunde. - Das Gesundheitssystem
Zahlreiche Gesundheitsfachleute (Gynäkologe, Hebammen, Stillberaterinnen, Stillgruppen, Kinderarzt, Klinikpersonal, Zahnärzte, Apotheker usw.) können das Stillverhalten ebenfalls positiv oder negativ beeinflussen. - Die Gemeinde
Dazu zählen z.B. das Dorf, die Stadt(teile), soziale Einrichtungen, die Öffentlichkeit, die Arbeitsstelle und Kinderbetreuungseinrichtungen. - Die Gesellschaft
Hierzu gehört die gesamte Gesellschaft, z.B. die Medien, Kultur sowie Politik.
Auf jeder dieser Ebenen liegen sowohl Hürden als auch Erfolgsfaktoren bzw. Verstärker, die das Stillverhalten jeder einzelnen Mutter beeinflussen.
Hürden bei Mutter und Kind
Nicht selten haben Mütter unrealistische Erwartungen an das Stillen und das Leben mit dem Baby. Es kann sein, dass sie es sich entweder romantisiert, problemfrei und einfach oder aber schwierig, zeitaufwändig und auszehrend vorstellen.
Die Realität entspricht den positiven Erwartungen jedoch häufig nicht und wird somit als Enttäuschung oder Belastung erlebt, die einiges an Anpassung erfordert.
Sind die Erwartungen eher negativ, kann die reale Situation auch positiv überraschen. Andererseits fehlt dann möglicherweise bei anfänglichen Stillschwierigkeiten, auch der Wunsch und die Energie diese zu überwinden.
Wie die Erfahrungsberichte von Müttern immer wieder zeigen, machen sich viele Schwangere auch vor der Geburt gar keine Gedanken über das Stillen, sondern denken nur über die richtige Ausstattung für das Baby nach und bereiten sich auf die Geburt vor. Die fehlende Vorbereitung auf das Stillen zeigt sich dann als zusätzlicher Stressfaktor, wenn der Stillstart schwierig verläuft.
Der Mangel an stillenden Vorbildern und an guter Stillvorbereitung führt oft zu einem fehlenden Vertrauen in die eigene Stillfähigkeit und in die Fähigkeiten des Kindes.
Hat die Mutter immer wieder gehört, dass Schmerzen beim Stillen normal sind, sieht sie diese meist nicht als Warnsignal an und sucht nicht konsequent und frühzeitig genug nach kompetenter Hilfe, was dann oft die Stillproblematik eher vergrößert, als dass die Ursache der Schmerzen schnell und effektiv erkannt und aufgelöst wird.
Fehlende Vorbereitung auf das Stillen führt auch oft zu Unwissenheit über die Nachfrage-Angebot-Regel sowie die Signale des Babys für Hunger bzw. die Sättigungszeichen.
So kommt es schnell zu Unsicherheit, ob es denn überhaupt genug bekommt und dem Gefühl „nicht genug“ Milch zu haben, was der häufigste Grund für die Zufütterung von künstlicher Säuglingsnahrung und vorzeitigem Abstillen nach den ersten zwei Monaten ist.
Müdigkeit und Erschöpfung durch das Leben mit einem anspruchsvollen Baby, das wenig schläft, viel Zuwendung und Körperkontakt braucht und häufig weint, lässt Mütter oft an die Grenzen ihrer Belastbarkeit stoßen und nach einer vermeintlich „schnellen“ Lösung greifen.
Eine Mutter, der es unangenehm ist in der Öffentlichkeit zu stillen, fühlt sich durch das Stillen leicht an Haus und Kind gebunden und vom öffentlichen Leben ausgeschlossen.
Eine weitere Hürde können (zu) hohe eigene Ansprüche an sich selbst als Mutter sein. Etwa wenn der Haushalt auch mit Baby weiter so perfekt gepflegt sein muss, wie vor der Geburt, oder wenn sie von sich erwartet, ihre Berufstätigkeit oder ein Studium ohne Einschränkungen weiterführen zu müssen.
Sehr oft sind es auch eigene Glaubenssätze, wie etwa: „Eine gute Mutter stillt…“, die bei einer Mutter, die nicht stillt oder vorzeitig abgestillt hat, zu dem Gefühl führen, sich rechtfertigen zu müssen und als Mutter versagt zu haben. Oft wird dieser Glaubenssatz daher auf die Außenwelt projiziert und die allgemeine Förderung des Stillens oder die objektive Erwähnung der Nachteile von künstlicher Säuglingsnahrung als „Stillzwang“ und die Stillbefürworter als „Stillmafia“ bezeichnet.
Auch körperliche Probleme der Mutter und/oder des Babys können sich als Hürde beim Stillen erweisen, wie etwa durch eine (extreme) Frühgeburt, nach einem Kaiserschnitt, durch Erkrankungen, nach Brustoperationen oder bei hormonellen Störungen, die ohne fachlich kompetente Hilfe nicht oder nur sehr schwer überwunden werden können.
Mütter, die sich selbst schlecht ernähren, glauben oft, ihre Ernährung sei schuld, an einer (vielleicht nur vermeintlichen) zu geringen Milchproduktion oder an (vermeintlichen) Verdauungsstörungen des Babys.
Ebenso denken rauchende Mütter häufig, Nikotin in Muttermilch sei gefährlicher als Flaschennahrung und entscheiden sich deshalb mitunter gar nicht zu stillen.
Und auch die Annahme, dass das Stillen nicht mit der Wiederaufnahme der Berufstätigkeit oder eines Schulbesuchs zu vereinbaren ist, lässt manche Mütter zu dem Schluss kommen, es sei besser gar nicht erst damit zu beginnen.
Verstärker bei Mutter und Kind
Trotz all dieser Hürden, gibt es auf der Ebene des Mutter-Kind-Paares aber auch eine ganze Reihe von positiven, das Stillen fördernde Faktoren.
Zunächst ist hier die eigene Einstellung zu nennen. Allein schon der Gedanke, Muttermilch ist nicht die beste, sondern schlicht und einfach die von der Natur vorgesehene, normale Nahrung für menschliche Babys, kann hilfreich sein, sich weniger selber unter Druck zu setzen, aber auch sich bei Stillproblemen frühzeitig um fachlich kompetente Hilfe zu bemühen.
Wird zudem das Stillen nicht nur als reine Ernährungsform gesehen, sondern auch (oder vor allem) als ganz besondere Beziehung verstanden, die Mütter nur in der Stillzeit zu ihrem Baby haben können, lässt sich auch ein teilweises Stillen oder etwa das Adoptivstillen mit der Fütterung von künstlicher Säuglingsnahrung an der Brust als gut und wichtig für die Mutter-Kind-Beziehung erleben.
Es ist gut zu wissen, dass Stillen von Natur aus einfach, praktisch sowie im weiteren Verlauf zeit- und kostensparend ist.
Realistische Erwartung möglicher Herausforderungen beim Stillen statt idealistischer Vorstellungen. Hierbei können das Lesen eines guten Stillbuchs und/oder ein Stillvorbereitungskurs hilfreich sein.
Stillen ist heute oft in den ersten Wochen schwieriger und anstrengender als Flasche füttern.
Aus diesem Grund spielt der Plan zu stillen eine wichtige Rolle. Mütter, die sich fest vorgenommen haben zu stillen, sind eher bereit anfängliche Startschwierigkeiten zu überwinden und erfolgreich zu stillen.
Um erfolgreich zu stillen, ist es NICHT erforderlich auf sämtliche eventuell auftretende Stillschwierigkeiten vorbereitet oder eingestellt zu sein.
Es ist aber heutzutage sehr hilfreich, einiges praktisches Wissen zu haben, so etwa über die angeborenen Stillreflexe der Babys, eine gute Anlegetechnik, gute Stillposition, das Stillen nach Bedarf, die Hunger- und Sättigungszeichen, den Milcheinschuss, das abendliche Dauerstillen (Clusterfeeding) und wie die Nachfrage das Angebot regelt.
Darüberhinaus haben aber auch frühe positive Erfahrungen mit dem Neugeborenen eine sehr große Bedeutung. Ausgiebiger Körperkontakt (Bonding) führt zu einer Oxytocinausschüttung bei Mutter und Kind, stimuliert die angeborenen Frühreflexe des Neugeborenen und führt damit zu häufigerem Stillen von Anfang an und unterstützt so wesentlich den Stillerfolg.
Auch das Temperament des Kindes spielt eine nicht zu unterschätzende Rolle. So kann ein „zufriedenes“ Baby das Selbstvertrauen und die Zufriedenheit der Mutter mit dem Stillen und mit ihrer Mutterrolle natürlich leichter stärken, als ein „unzufriedenes“.
Mütter, die bereits ein Kind erfolgreich gestillt haben, sind durch die frühere positive Stillerfahrung eher geneigt, dies bei weiteren Kindern zu wiederholen, selbst wenn zunächst anfängliche Schwierigkeiten überwunden werden müssen.
Grundsätzlich spiegeln sich eine persönliche Zuversicht und allgemeines Selbstbewusstsein oft auch in dem Vertrauen in die eigene Stillfähigkeit und in die Fähigkeiten des Babys wieder.
Mütter, die beim Stillen nicht dem Mainstream folgen, sondern ihren eigenen Weg gehen, zum Beispiel indem sie länger als hierzulande üblich stillen, haben es leichter, wenn sie sich durch kritische Bemerkungen Anderer nicht so leicht verunsichern lassen und auf ihr eigenes Gefühl oder ihr Herz hören.
Alle diese verstärkenden Faktoren haben Mütter selbst in der Hand und können sie im Vorherein oder auch nach der Geburt noch beeinflussen, bis auf die positive frühere Stillerfahrung und das Temperament des Kindes, beides können sie nicht verändern, sondern können (und müssen) es nur annehmen, wie es ist (bzw. bei vorherigen Kindern war).
Im nächsten Teil dieser Serie werden wir uns die Hürden und Verstärker auf der Ebenen der Familie anschauen.
Autorin: Regine Gresens IBCLC, Dezember 2018
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