Von Margarete Schebesch |
Es war einmal ein König, der lebte mit seiner Königin in einem weit entfernten Land.
Sie waren sehr reich und wohnten in einem riesigen Palast. Dort gab es hundert Zimmer, eines schöner und prachtvoller als das andere.
Im Palast wohnten auch viele Bedienstete, welche ihn sauber hielten, die Pferde in den Ställen versorgten, den Garten bestellten und sich vor allem um das Königspaar kümmerten.
Der König und die Königin hatten also alles, was sie brauchten. Trotzdem waren sie beide oft traurig, denn sie wünschten sich sehnlichst ein Kind, und das war das einzige, was sie nicht bekamen.
Eines Tages kam eine alte Frau in den Palast und wollte mit dem König sprechen. Der König war trotz seines Reichtums gutmütig und großherzig und empfing die alte Frau. Sie erzählte ihm, sie sei eine Wahrsagerin und wisse, dass die Königin in genau einem Jahr ein Kind bekommen werde.
Der König war sehr erfreut und schöpfte neue Hoffnung. Er ließ die Königin rufen um ihr gleich zu erzählen, was er erfahren hatte, und die Königin freute sich noch mehr. Beide wollten sie die alte Frau für diese gute Nachricht belohnen.
Sie ließen eine Truhe voller Gold und Edelsteine bringen um sie der Frau zu schenken, aber diese sagte:
„Ich will kein Gold und keine Edelsteine, denn ich habe nichts getan, womit ich das verdient hätte. Ich bin nur eine alte Frau, die geträumt hat, dass die Königin ein Kind bekommen wird.“
„Aber wir freuen uns doch so sehr und möchten uns irgendwie bei dir bedanken,“ sagte der König. „Willst du vielleicht etwas anderes haben, ein Haus vielleicht oder ein Stück Land?“
Da lachte die alte Frau und sagte: „Oh nein, ich habe alles, was ich brauche, lieber König. Aber ich möchte dir noch eines sagen: dieses Kind, welches ihr bekommen werdet, ist ein wahres Königskind. Es wird sehr, sehr anspruchsvoll sein, und deshalb muss man ihm alles geben, was es will, sonst wird es unglücklich.“
„Oh, ich glaube, das sollte nicht so schwer sein,“ sagte der König. Wir haben einen riesengroßen Palast mit hundert Zimmern, unsere Schatzkammer ist voller Gold und Edelsteine und es stehen hunderte von Bediensteten bereit, um dem Kind jeden Wunsch zu erfüllen.“
„Das glaube ich dir,“ sagte die alte Frau. „Aber versprich mir eines. Wenn du feststellst, dass alles, was du deinem Kind zu geben vermagst, nicht genug ist, versuche herauszufinden, was es wirklich braucht. Frage alle Menschen in deinem Palast und lasse auch nicht den geringsten aus. Wenn du mir dieses Versprechen gibst, kann ich zufrieden meiner Wege gehen.“
Der König wunderte sich ein wenig über diesen seltsamen Rat, aber er versprach der Frau ehrlich, sein bestes zu tun um sein Kind glücklich zu machen.
Nun begann eine Zeit großer Geschäftigkeit im Palast. Es wurde gebaut und renoviert, neue Teppiche und neue Möbel wurden gebracht, goldene Lampen und wunderschöne Bilder wurden aufgehängt und an die Fenster kamen neue Vorhänge aus Samt und Seide.
Für das Königskind wurde ein großes Zimmer hergerichtet, in dem ein goldenes Bettchen stand, mit Bettwäsche aus den weichsten Federn und einem silbernen Glöckchenspiel darüber.
Die geschicktesten Handwerker fertigten das schönste Spielzeug, das sich ein Kind nur wünschen konnte.
Die angesehensten Schneider nähten die prächtigsten Kleider für das Kind und der König bestellte die berühmtesten Köche in den Palast, damit sie das feinste Essen für das Kind kochen sollten.
Nach einem Jahr brachte die Königin ein wunderschönes Mädchen zur Welt, welches den Namen Augustine bekam. Der König war entzückt und konnte sich gar nicht an seinem Töchterchen satt sehen.
Weil er wusste, dass Augustine ein sehr anspruchsvolles Kind war, brachte er es sogleich in das große Kinderzimmer, welches schon vorbereitet war. Die weiche Bettwäsche in dem goldenen Bettchen war schon angewärmt worden, das Glöckchenspiel erklang und spielte eine hübsche Melodie, und überall im Zimmer lagen die zierlichsten Puppen bereit.
Der König zeigte Augustine das schöne Spielzeug und legte sie dann in das goldene Bettchen.
Aber wie groß war sein Erstaunen, als Augustine sofort anfing, zu weinen, sobald er sie hingelegt hatte! Der König bekam Angst, und wusste nicht, was er tun sollte. Da erinnerte er sich an die prächtigen Kleider, die er hatte fertigen lassen, und an die Köche, die bereit standen, um das Essen für die Prinzessin zu kochen.
Er schickte nach den Kleidern und ließ eine Kammerfrau kommen, welche die Prinzessin anziehen sollte. Dann bestellte er den besten Koch zu sich und sagte ihm, er solle die feinste und erlesenste Speise kochen, die er kenne.
Die Kammerfrau und der Koch machten sich gleich an die Arbeit. Als Augustine mit einem prächtigen Kleidchen angezogen war, kam der Koch und brachte persönlich die Speise für die Prinzessin herein. Die Kammerfrau versuchte, Augustine mit einem goldenen Löffel zu füttern, aber die Prinzessin weinte wieder.
Sie wollte nichts von dem erlesenen Essen haben und stieß mit ihren Ärmchen und Beinchen die Kammerfrau weg. Diese legte sie in das goldene Bettchen und klagte, dass sie nicht mehr weiter wisse.
Der König wurde sehr traurig und lief aus dem prächtigen Kinderzimmer hinaus, denn das Weinen seiner Tochter tat ihm weh. Er ging zur Königin und sie überlegten beide, was sie noch tun könnten um Augustine glücklich zu machen. Sie berieten sehr lange, und dann erinnerten sie sich an den Rat der alten Frau. Schweren Herzens ließ der König einen nach dem anderen Bediensteten aus dem Palast kommen, bis keiner mehr übrig war.
Die Menschen gaben dem König verschiedene Ratschläge. Einer meinte, dass die Prinzessin vielleicht müde sei, und empfahl, dass ein Orchester zu rufen sei, welches ihr ein Schlaflied spielen solle. Der König schickte sofort nach seinem Hoforchester, aber sobald die Musiker anfingen, zu spielen, schrie Augustine vor Angst noch lauter als zuvor.
Ein anderer Bediensteter meinte, dass der Prinzessin vielleicht langweilig sei, und empfahl, dass die Hofnarren und Spielleute des Palastes sie unterhalten sollten. Auch diesmal ließ der König sofort alle Hofnarren und Schauspieler kommen, aber Augustine weinte trotz der lustigen Scherze, die sie vorführten, immer weiter.
So fragte der König ein Mitglied des Hofes nach dem anderen aus, aber nichts, was er probierte, konnte Augustine trösten. Als er alle Menschen befragt hatte, die im Palast wohnten, wollte er aufgeben. Er wurde wütend und glaubte, die alte Frau sei eine Hexe gewesen, die seine Tochter verflucht hätte.
Die Königin rang verzweifelt die Hände und weinte. „Gibt es wirklich niemanden mehr, den wir fragen können?“ rief sie unter Tränen.
Da trat ein Stallbursche vor. „Es gibt da noch einen kleinen Kerl, der die Schafe hütet,“ sagte er, „aber er ist draußen auf der Weide.“
„Holt ihn sofort“! rief der König außer sich.
Sogleich lief der Stallbursche los, um den Schafhirten zu holen.
Als sie zurück kamen, sah der König, dass der Schafhirte ein kleiner Junge war, welcher furchtbare Angst hatte. Da wurde sein Herz weich und er sagte freundlich: „Hab keine Angst, mein Junge, ich möchte nur mit dir sprechen. Schau mal, unsere kleine Augustine ist ein sehr anspruchsvolles Mädchen. Sie muss alles bekommen, was sie will, sonst ist sie unglücklich. Sie weint schon so lange und wir wissen nicht mehr weiter. Wir haben ihr die schönsten Kleider und das feinste Essen gegeben, aber es war nicht richtig. Was ist deine Meinung?“
Der kleine Junge schaute sich schüchtern um und sah, dass aller Augen auf ihn gerichtet waren. Aber dann wurde sein Blick ein wenig verwundert.
„Also…“ begann er, „ich habe eine kleine Schwester zu Hause. Manchmal weint sie, dann nimmt meine Mutter sie in den Arm. Wenn sie weiter weint, dann lässt meine Mutter sie von ihrer Brust trinken. Und wenn sie dann immer noch weint, dann singt meine Mutter ihr ein Lied. Manchmal macht sie auch alles gleichzeitig. Und irgendwann ist meine Schwester dann still.“
Der König schaute den kleinen Jungen ungläubig an. „Deine Mutter?!“ sagte er dann. „Das ist alles, was sie tut?“ Der Junge nickte.
Da stand der König auf, ging zu dem Jungen und umarmte ihn. „Danke, mein Junge!“ sagte er, dabei flossen Tränen über des Königs Wangen.
Dann nahm er die Königin bei der Hand und sie liefen schnell in das große Zimmer, wo die kleine Augustine noch immer von der Kammerfrau bewacht wurde und weinte.
Die Königin hob die Prinzessin aus dem Bettchen heraus und legte sie an ihre Brust. Sie drückte ihre Tochter an sich und wiegte sie. Die kleine Augustine begann zu trinken und hörte auf zu weinen.
Am nächsten Tag musste der kleine Junge wieder kommen. Der König bat ihn, die Königin zu seiner Mutter zu führen.
Und nachdem die Königin mit der Mutter des Schafhirten gesprochen hatte, schenkte der König all das Spielzeug aus dem prächtigen Kinderzimmer dem kleinen Jungen und seinen Geschwistern.
Das goldene Bettchen wurde in die Schatzkammer zu dem anderen Gold gestellt und die Köche wurden wieder entlassen.
Nur die Schneider durften noch nicht gehen, denn sie mussten noch einmal arbeiten. Sie mussten nämlich alle Kleider der Königin ändern, so dass sie sich vorne öffnen ließen.
Autorin: Margarete Schebesch, 07.02.2009
Foto: Kristen Campbell via photopin cc
Ich könnte mir gut vorstellen, dass am Ende des Märchens die Köche auch noch eine etwas andere Aufgabe bekommen: Sie sollen nämlich die Königin gut nähren, ihr zum Beispiel Stillkekse backen. 😉 😉 😉 Ansonsten ein verblüffend genaues Märchen über die Realität – in meiner Familie – mit meiner Prinzessin mit ziemlich genau dem Namen (wir haben die Koseform von Augustine gewählt). Ich lach mich kringelig – heute, 2 Jahre „danach“. Menno, ich hätte ein Märchen über uns schreiben können! 😉